Rosa und Konrad nehmen nur das Sonnenlicht wahr. Doch Rosa, die große Schwester von Konrad, sagte zu uns Therapeuten: „Ich sehe auch alles wie du, nur anders. Ich sehe die Welt mit meiner Haut und mit meinen Ohren und meine Nase hilft auch dabei“.

Das war der Moment, in dem ich erkannte, dass mein Therapieansatz für Rosa nicht der richtige war. Ich musste erst lernen, die Welt mit Rosas Augen zu sehen. Diese Welt ist nicht schwarz und kalt, diese Welt ist genauso bunt wie unsere – nur anders! Und das ist die wichtigste Erkenntnis: Die Neugier dieser Kinder kann uns die Tür zu ihrer Welt öffnen. Die Frage ist: Trauen wir uns ins Unbekannte? Ich glaube wir Sehenden haben viel mehr Angst, als wir zugeben. Anders betrachtet: Wir sind auf die Hilfe von Rosa und Konrad angewiesen, um ihre Welt zu erkennen.  

Auch die Therapie entwickelt sich mit jedem Kind weiter

Ich habe mich getraut und habe Rosa in ihrer Welt begleitet. Das war und ist eine schöne Reise. Geleitet haben uns Rosas Fragen, sie haben uns auf dieser fremden Landkarte navigiert. Zu jedem neuen Land haben wir einen neuen Weg gewählt, der am Anfang unbekannt war. Auf dieser langen Reise sind wir entweder mit dem Auto oder mit der Bahn gefahren und hin und wieder auch mal geflogen. Als wir den Weg nicht mehr gekannt haben, haben wir uns auf eine Wiese gesetzt und versucht, uns auf unser Bauchgefühl zu konzentrieren. Das hat uns letztendlich immer auf die richtige Bahn gebracht.  

Rosa versetzt mit ihrem Mut alle in Staunen

Auf dieser langen Reise lernte Rosa unsere extrem laute Welt zu akzeptieren und sich an diese Welt anzupassen. Das war für sie die schwierigste Aufgabe. Doch nach ihrer Entscheidung, sie zu akzeptieren, lernte sie viel mehr, als unsere Welt von ihr verlangt hätte. Sie hat mit ihrem Mut alle in Staunen versetzt. Rosa schreibt und liest, sie fährt Ski, geht Eislaufen und sie schwimmt im Schwimmbad und auch im Teich. Die Voraussetzung dafür ist, dass sie die neue Landkarte jeweils in ihren Einzelheiten abspeichert. Wenn sie die wichtigsten Informationen bildlich erzählt bekommt, kann sie alle Berge dieser Welt besteigen.  

Nachdem Rosa schon so viel gelernt und erreicht hatte, kam eine große Überraschung in ihr Leben: ihr Bruder Konrad. Konrad hat Rosa das Wichtigste im Leben beigebracht: für einen Menschen Verantwortung zu übernehmen und für ihn da zu sein! Alles, was sie in den letzten Jahren mit großer Anstrengung gelernt hat, bringt sie ihrem kleinen Bruder bei. 

Wir „Sehenden“ können von Rosa und Konrad lernen: „Geht nicht, gibt’s nicht“! Egal mit welchem Handicap man in diese Welt geboren wird, man kann im Leben alles erreichen. Manchmal ist der Weg schweißtreibend, manchmal würde man am liebsten aufgeben, aber wenn man am ersehnten Ziel ankommt, dann weiß man, wofür man gekämpft hat. Dafür benötigen wir nur eines: unsere Neugierde! An alle Erwachsenen: Versucht die Welt mit den Augen der Kinder zu sehen!