Fragen über Fragen

Emmerich kam als Frühchen auf die Welt, zwei Monate vor dem errechneten Termin. Ein absolutes Wunschkind, auch 8 Fehlgeburten hatten unserem Kinderwunsch nichts anhaben können. Er entwickelte sich gut, konnte bald selber trinken, legte an Gewicht zu und durfte vor seinem eigentlichen Geburtstermin mit uns nach Hause. Wir glaubten uns am Ziel unserer Träume, glaubten unsere sorgenvolle Zeit endlich hinter uns zu haben. Als er nach 6 Monaten noch keinerlei Anstalten machte sich zu drehen, abzustützen oder irgendwie vom Fleck zu kommen, machten wir uns noch keine Gedanken. Wir erklärten es uns damit, daß er eben ein Frühchen sei, ein Bub, vielleicht auch einfach etwas faul. Als der Kinderarzt uns nahelegte mal zur Physiotherapie zu gehen, war unser erster Gedanke „Frühförderquatsch“. Aber wir sind hingegangen. Dann ging es Schlag auf Schlag – wir mußten uns dem Gedanken stellen, daß unser Sohn sich nicht normal entwickelt – was immer normal auch heißt. In den nächsten Monaten eröffnete sich uns eine bisher unbekannte Welt. Eine Welt, die aus Ärzten, Therapeuten, Therapiegeräten, Untersuchungen, Abklärungen besteht. Eine Welt, in der Sorgen den Tag bestimmen, sich die Gedanken ständig darum drehen, was wohl auf einen zu kommt und in der es keinen unbeschwerten Blick mehr auf das eigene Kind gibt. Ich wollte mein Kind so gerne genießen, mich uneingeschränkt über sein Dasein freuen – aber ich konnte mich nicht dagegen wehren, es auch immer zu beobachten: kann es dieses oder jenes? Versteht es mich? Reagiert es?  Und ständig trieb mich um, was man noch tun könnte, ob man wirklich alles bedacht und versucht hat. Hilfreich war sicherlich daß wir nach langer Ungewißheit eine eindeutige Diagnose bekommen haben: bilaterale spastisch dyskinetische Cerebralparese – auch wenn damit noch offen blieb wie stark Emmerich betroffen ist und ob es beispielsweise auch sein Sprachvermögen und seine Kognition beeinflussen würde. Zumindest wußten wir, daß es keine Erkrankung ist, die fortschreitet, und daß mit Therapien durchaus Verbesserungen erreicht werden können.

Das Leben wird bunt

Mittlerweile gehören viele Dinge und Geräte zu unserem Leben, von deren Existenz wir früher nichts wußten: Stehständer, Orthesen, Posterior Walker. Im Kalender stehen wöchentlich Physiotherapie, Ergotherapie, Hippotherapie und zwei Mal im Jahr Intensivfördertherapie in der Kids Chance in Bad Radkersburg. Die Wochen dort haben uns sehr geholfen mit dem komplexen Thema Behinderung umzugehen. Zuhause sind wir ja meist die einzigen mit einem beeinträchtigten Kind, in der Kids Chance lernen wir von anderen und andere von uns. Emmerich wird hier ganzheitlich gefördert: motorisch, kognitiv und sozial. Die anderen Kinder spornen ihn an, bringen ihn dazu Dinge auszuprobieren, an die wir uns zuhause vielleicht nicht gewagt hätten. Entgegen jeder Vorstellung hat Emmerich hier allererste Schritte gemacht, Fahrradfahren (mit drei Rädern) und Schwimmen (mit nur einer Schwimmnudel) gelernt. Und das Wichtigste: die Kids Chance ist ein Ort der Freundschaft und der Freude, es wird viel gelacht, geherzt, geliebt und gelebt.

Herausforderung angenommen

Es gibt viel zu tun mit einem beeinträchtigten Kind, ständig ist etwas zu beantragen, anzupassen, auszuprobieren. Aber wir haben uns daran gewöhnt und es ist etwas eingetreten, was ich anfangs nicht für möglich gehalten habe: es ist einfach gut so wie es ist. Wir sind stolz auf unseren Sohn, der sich in sein Leben, in seine Selbstbestimmung kämpft. Wir staunen über Fähigkeiten, die er entwickelt hat. Darüber, dass er sich zum Beispiel im Alter von 5 Jahren Lesen und Schreiben selbst beigebracht hat. Darüber, wie ausgewählt und schön er formuliert. Wir sind glücklich zu sehen, dass er ein humorvolles, lebensfrohes und phantasievolles  Kind ist. Wir sind beeindruckt, wie gut er den Schritt in sein Leben als Volksschüler in einer Regelschule meistert. Wir sind dankbar, dass wir uns mit ihm und seinen beiden Geschwistern als ganz normale Familie fühlen.  Als Familie, in der Geschwister miteinander spielen, lachen, streiten und in der das gemeinsame Leben und nicht die Behinderung im Vordergrund stehen. Wir empfinden Dinge als Bereicherung, die für andere selbstverständlich sind, und ich glaube, wir profitieren von der besonderen Art der Empathie, Dankbarkeit und Demut, die daraus entsteht.